Donnerstag, 16. Januar 2020

Zum Tod der Dortmunder Krimiautorin Sabine Deitmer


von Monika Littau

„Wenn es dich emotional total gepackt hat, dann musst du schreiben. Wenn du traurig bist oder wütend!“  Die Autorin, die diesen Rat gab, war keine andere als die Kriminalautorin Sabine Deitmer. Und so folge ich ihrem Rat und schreibe über sie und ihr Leben, das so plötzlich und völlig unerwartet am 11. Januar dieses Jahres endete.


Der Rat, den sie anderen gab, galt an erster Stelle natürlich für sie selbst. Ihre Bücher hatten immer Themen, die Sabine Deitmer umtrieben. Sie waren kritisch, sozialkritisch und engagierten sich für die weibliche Hälfte der Bevölkerung. Es ging um Frauen, die sich ihrer verhassten Männer entledigten, es ging um den sexuellen Missbrauch von Mädchen in der Familie, um das Leben von Prostituierten, um Schönheitschirurgie und um das Leben im Alter. Sie griff das auf, was sie am meisten ärgerte und aufregte, suchte einen frischen Blick darauf, fand neue Facetten und Perspektiven. Sie brach Tabus, provozierte, war immer parteiisch und zugleich empathisch. Sabine Deitmers Texte wurden zu Vorreitern einer neuen Generation von Kriminalgeschichten und -romanen,  in denen Frauen der Opferrolle entkamen und zu Täterinnen wurden, in denen die kriminalistische Untersuchung der Fälle nicht von Kommissaren, sondern weiblichen Ermittlerinnen durchgeführt wurden. Beate Stein, die Kripofrau ihrer Romane, war anders als Agatha Christis Miss Marple keinesfalls ältere Hobbydetektivin, sondern jung, unabhängig und hatte die offizielle Profession „Kommissarin“.  

Aber kehren wir in der Erinnerung zunächst zurück zu den Anfängen. Sabine Deitmer lernte ich in den 80er Jahren in Dortmund kennen. Damals arbeitete sie in der Erwachsenenbildung und leitete an der Dortmunder Volkshochschule den Fachbereich Romanistik. Sie war zudem Mitglied der Gruppe „Frauen Schreiben“, die mit Veröffentlichungen und Veranstaltungen auf sich aufmerksam machte. 1988 erschien Deitmers Kurzgeschichtenband  „Bye-bye, Bruno“. Alle Geschichten präsentierten Täterinnen, die ihre Männer, weil sie von ihnen auf unterschiedlichste Art und Weise verletzt worden waren, kreativ ins Jenseits beförderten.

„Bye-bye, Bruno“ stieß auf riesige Resonanz, wurde immer wieder aufgelegt. Ich erinnere mich an ein Foto, das ich in irgendeiner Zeitung oder Illustrierten gesehen haben muss. Es zeigte eine junge Frau, die im Meer liegt, umspült von den auslaufenden Wellen, während sie gleichzeitig „Bruno“  liest, die Hände weit nach oben gestreckt, so dass das Buch ihren Augen Schatten spendet.

Es folgte eine weitere Serie von Kurzgeschichten: „Auch brave Mädchen tun´s“ und der erste Roman mit Ermittlerin Beate Stein „Kalte Küsse“.

La Deitmer“ – formulierte kürzlich Reinhard Jahn – „bildete mit Ingrid Noll und Doris Gercke die Trias des deutschen Frauenkrimis seiner Zeit.“

Es folgten bei Fischer (später bei Krüger) die Romane „Dominante Damen“, „NeonNächte“, „Scharfe Stiche“, „Perfekte Pläne. Einige Romane wurden verfilmt oder für den Rundfunk bearbeitet. Sabine Deitmer erhielt Auszeichnungen, u.a. den Deutschen Krimipreis (1995) und schließlich den Glauser, Ehrenpreis der Autorengruppe Syndikat (2008).

Der schriftstellerische Erfolg veranlasste Sabine Deitmer, sich zehn Jahre lang ganz der Arbeit als Autorin zu widmen. Sie schrieb, sie reiste von einer Lesung zur nächsten, wurde gelobt, aber auch als Feministin angefeindet. Das ständige Unterwegssein empfand sie als anstrengend. Die letzten Romane schrieb sie während sie bereits wieder in der Erwachsenenbildung arbeitete. Diese Anstrengung hat ihr die Freude am Schreiben ein bisschen vergällt. In „Perfekte Pläne“ setzte sie sich schließlich nicht nur mit dem Thema Alter auseinander, sie sorgte auch dafür, dass ihre Kommissarin Beate Stein am Ende abtritt. Stein wolle sich überraschen lassen, was das Leben für sie sonst noch bereit halte. Einen Plan mache sie lieber nicht, denn man wisse ja, was bei Plänen so herauskomme, hieß das Motto am Ende des Buches.

Sabine Deitmer war aktiv bei den Mörderischen Schwestern (Sisters of crime), widmete sich der Nachwuchsförderung und gab schließlich die eigene schriftstellerische Arbeit komplett und kompromisslos auf. Immer wieder habe ich sie danach gefragt, ob sie nicht einen autobiografischen Roman schreiben wolle, denn sie hatte eine höchst bewegte Lebensgeschichte. Aber das lehnte sie bis zum Schluss rigoros ab. Sie hatte ihre Sache gemacht, war daran gewachsen und hatte ihr Leben als Schriftstellerin abgerundet.   

Stattdessen wandte sie sich ohne jeglichen Erwartungsdruck den vergnüglichen Dingen des Lebens zu: sie spielte Klavier, sie übte sich im Bauchtanz, sie malte, sie wanderte, sie verreiste mit Freundinnen oder auch mit ihrem Mann und genoss das Leben.

Nie machte sie sich Illusionen über das, was bleibt. „Bist Du weg, dann vergessen sie dich“, sagte sie. Und tatsächlich ist es in der kurzen Zeit, die sie nicht mehr aktiv war,  still um sie geworden, obwohl der Fischer-Verlag 2015 ihre Werke komplett neu auflegte.

Ich habe begonnen, ihren letzten Roman „Perfekte Pläne“ noch einmal zu lesen und es scheint mir, als habe sie nicht nur viele Motive ihres Lebens eingeflochten, sondern ihr Leben in manchen Punkten auch antizipiert. Ich bin aufgeregt, ich bin traurig, ich vermisse sie schon jetzt und ich befolge ihren Rat: „Wenn es dich emotional total packt, dann musst du schreiben.“