„Wenn
es dich emotional total gepackt hat, dann musst du schreiben. Wenn du traurig
bist oder wütend!“ Die Autorin, die
diesen Rat gab, war keine andere als die Kriminalautorin Sabine Deitmer. Und so
folge ich ihrem Rat und schreibe über sie und ihr Leben, das so plötzlich und
völlig unerwartet am 11. Januar dieses Jahres endete.
Der
Rat, den sie anderen gab, galt an erster Stelle natürlich für sie selbst. Ihre
Bücher hatten immer Themen, die Sabine Deitmer umtrieben. Sie waren kritisch,
sozialkritisch und engagierten sich für die weibliche Hälfte der Bevölkerung. Es
ging um Frauen, die sich ihrer verhassten Männer entledigten, es ging um den
sexuellen Missbrauch von Mädchen in der Familie, um das Leben von
Prostituierten, um Schönheitschirurgie und um das Leben im Alter. Sie griff das
auf, was sie am meisten ärgerte und aufregte, suchte einen frischen Blick
darauf, fand neue Facetten und Perspektiven. Sie brach Tabus, provozierte, war
immer parteiisch und zugleich empathisch. Sabine Deitmers Texte wurden zu
Vorreitern einer neuen Generation von Kriminalgeschichten und -romanen, in denen Frauen der Opferrolle entkamen und zu
Täterinnen wurden, in denen die kriminalistische Untersuchung der Fälle nicht
von Kommissaren, sondern weiblichen Ermittlerinnen durchgeführt wurden. Beate
Stein, die Kripofrau ihrer Romane, war anders als Agatha Christis Miss Marple
keinesfalls ältere Hobbydetektivin, sondern jung, unabhängig und hatte die offizielle
Profession „Kommissarin“.
Aber
kehren wir in der Erinnerung zunächst zurück zu den Anfängen. Sabine Deitmer lernte
ich in den 80er Jahren in Dortmund kennen. Damals arbeitete sie in der
Erwachsenenbildung und leitete an der Dortmunder Volkshochschule den
Fachbereich Romanistik. Sie war zudem Mitglied der Gruppe „Frauen Schreiben“,
die mit Veröffentlichungen und Veranstaltungen auf sich aufmerksam machte. 1988
erschien Deitmers Kurzgeschichtenband „Bye-bye, Bruno“. Alle Geschichten
präsentierten Täterinnen, die ihre Männer, weil sie von ihnen auf
unterschiedlichste Art und Weise verletzt worden waren, kreativ ins Jenseits
beförderten.
„Bye-bye,
Bruno“ stieß auf riesige Resonanz, wurde immer wieder aufgelegt. Ich erinnere
mich an ein Foto, das ich in irgendeiner Zeitung oder Illustrierten gesehen
haben muss. Es zeigte eine junge Frau, die im Meer liegt, umspült von den auslaufenden
Wellen, während sie gleichzeitig „Bruno“
liest, die Hände weit nach oben gestreckt, so dass das Buch ihren Augen
Schatten spendet.
Es
folgte eine weitere Serie von Kurzgeschichten: „Auch brave Mädchen tun´s“ und
der erste Roman mit Ermittlerin Beate Stein „Kalte Küsse“.
„La Deitmer“ – formulierte kürzlich
Reinhard Jahn – „bildete mit Ingrid Noll und Doris Gercke die Trias des
deutschen Frauenkrimis seiner Zeit.“
Es
folgten bei Fischer (später bei Krüger) die Romane „Dominante Damen“, „NeonNächte“,
„Scharfe Stiche“, „Perfekte Pläne. Einige Romane wurden verfilmt oder für den
Rundfunk bearbeitet. Sabine Deitmer erhielt Auszeichnungen, u.a. den Deutschen
Krimipreis (1995) und schließlich den Glauser, Ehrenpreis der Autorengruppe
Syndikat (2008).
Der
schriftstellerische Erfolg veranlasste Sabine Deitmer, sich zehn Jahre lang ganz
der Arbeit als Autorin zu widmen. Sie schrieb, sie reiste von einer Lesung zur
nächsten, wurde gelobt, aber auch als Feministin angefeindet. Das ständige
Unterwegssein empfand sie als anstrengend. Die letzten Romane schrieb sie
während sie bereits wieder in der Erwachsenenbildung arbeitete. Diese
Anstrengung hat ihr die Freude am Schreiben ein bisschen vergällt. In „Perfekte
Pläne“ setzte sie sich schließlich nicht nur mit dem Thema Alter auseinander,
sie sorgte auch dafür, dass ihre Kommissarin Beate Stein am Ende abtritt. Stein
wolle sich überraschen lassen, was das Leben für sie sonst noch bereit halte. Einen
Plan mache sie lieber nicht, denn man wisse ja, was bei Plänen so herauskomme,
hieß das Motto am Ende des Buches.
Sabine
Deitmer war aktiv bei den Mörderischen Schwestern
(Sisters of crime), widmete sich der Nachwuchsförderung und gab schließlich die
eigene schriftstellerische Arbeit komplett und kompromisslos auf. Immer wieder
habe ich sie danach gefragt, ob sie nicht einen autobiografischen Roman
schreiben wolle, denn sie hatte eine höchst bewegte Lebensgeschichte. Aber das
lehnte sie bis zum Schluss rigoros ab. Sie hatte ihre Sache gemacht, war daran
gewachsen und hatte ihr Leben als Schriftstellerin abgerundet.
Stattdessen
wandte sie sich ohne jeglichen Erwartungsdruck den vergnüglichen Dingen des
Lebens zu: sie spielte Klavier, sie übte sich im Bauchtanz, sie malte, sie
wanderte, sie verreiste mit Freundinnen oder auch mit ihrem Mann und genoss das
Leben.
Nie
machte sie sich Illusionen über das, was bleibt. „Bist Du weg, dann vergessen
sie dich“, sagte sie. Und tatsächlich ist es in der kurzen Zeit, die sie nicht
mehr aktiv war, still um sie geworden,
obwohl der Fischer-Verlag 2015 ihre Werke komplett neu auflegte.
Ich
habe begonnen, ihren letzten Roman „Perfekte Pläne“ noch einmal zu lesen und es
scheint mir, als habe sie nicht nur viele Motive ihres Lebens eingeflochten, sondern
ihr Leben in manchen Punkten auch antizipiert. Ich bin aufgeregt, ich bin
traurig, ich vermisse sie schon jetzt und ich befolge ihren Rat: „Wenn es dich
emotional total packt, dann musst du schreiben.“